1. Die beschleunigte Expansion des Universums

1.1 Das kosmologische Prinzip oder eine einfache Erfahrung von großer Tragweite

Die für die Kosmologie interessanten "Signale" des Universums kommen von weit her und sind nur mit hohem technischem Aufwand zu entschlüsseln. Es gibt jedoch ein aussagekräftiges kosmologisches "Experiment", das jeder von uns mit minimalem Aufwand selbst durchführen kann: die schlichte Beobachtung, daß der (unbewölkte) Nachthimmel dunkel ist. Daraus folgt nämlich, daß das Universum nicht zugleich statisch (zu allen Zeiten gleich aufgebaut) und homogen (überall gleich aufgebaut) sein kann, zumindest nicht unter der Voraussetzung der euklidischen Geometrie des Raumes (das ist die, welche wir alle aus eigener Anschauung kennen). Zu diesem Schluß gelangt man über das sogenannte Olbers'sche Paradoxon. Das heute sichtbare Universum (eine uns umgebende Kugel mit ca. 10 Mrd. Lichtjahren Durchmesser) erscheint, wenn man es mit hin- reichend grober Auflösung betrachtet (so daß alle Strukturen mit einer Ausdehnung von weniger als einigen hundert Mio. Lichtjahren "verschwimmen"), annähernd homogen. Daher wird man von den beiden einander empirisch ausschließenden Eigenschaften des Universums die Homogenität gegenüber der Statik bevorzugen. Diese Aussage ist im Kosmologischen Prinzip enthalten: Das Universum ist homogen und isotrop (d.h. es ist auch keine Richtung ausgezeichnet; aus der Isotropie in jedem Punkt folgt die Homogenität). Dieses Prinzip wird durch die Beobachtung nahegelegt und soll der Ausgangspunkt der folgenden theoretischen Überlegungen sein.

1.2 Das Hubble-Gesetz oder: Etwas Nachdenken bestätigt eine alte Beobachtung und sagt eine neue voraus

Von den fundamentalen Wechselwirkungen ist die Gravitation die einzige, die über astronomische Distanzen reicht. Die Kosmologie modelliert daher das Universum in erster Näherung als ein selbstgravitierendes System unter Vernachlässigung anderer Wechselwirkungen. Nun ist es schon in einer auf dem Newtonschen Gravitationsgesetz basierenden Beschreibung offensichtlich, daß so ein System nicht in Ruhe verharren kann; vielmehr müssen sich seine Konstituenten relativ zueinander bewegen (ein auf Newton selbst zurückgehendes Gegenargument erweist sich als trügerisch). Die vorhin rein empirisch konstatierte nichtstatische Natur des Universums hat also einen tieferen theoretischen Grund. Das kosmologische Prinzip, insbesondere die darin geforderte Isotropie, impliziert, daß die Relativbewegung zweier (hinreichend ausgedehnter) Komponenten des Universums entlang ihrer Verbindungslinie erfolgen muß. Das läßt nur zwei großräumige Bewegungs- muster zu: Entweder entfernen sich alle Objekte von einem Beobachter oder sie nähern sich ihm, jeweils entlang der Sichtlinie. Dieses Muster zeichnet auf den ersten Blick einen Beobachter vor allen anderen aus, tut es aber genau dann nicht, wenn die Relativgeschwindigkeit v zweier Objekte proportional zu ihrem Abstand d ist, d.h. v = Hd. Dies ist das berühmte Hubble-Gesetz. Hier ist die Hubble-Konstante H von Abstand und Richtung unabhängig, nicht aber von der Zeit. Daß dieses Gesetz für jeden Beobachter gilt, macht man sich am besten am Modell eines expandierenden oder kontrahierenden Luftballons klar, auf dessen Oberfläche markierte Punkte für die Beobachter (oder Galaxienhaufen) stehen. Das von der Ballonoberfläche dargestellte "Universum" ist zwar nur zweidimensional, macht aber dafür den angegebenen Sachverhalt unmittelbar anschaulich. Im Hubble-Gesetz sind v, H und d zu ein- und derselben Zeit einzusetzen, was in der Relativitätstheorie die Frage aufwirft, in welchem Bezugssystem diese Aussage gilt. Tatsächlich zeichnet aber das Kosmologische Prinzip eine "kosmische Zeit" aus, die von allen Uhren angezeigt wird, die selbst dem erwähnten Bewegungsmuster folgen. Diese mit dem Symbol t bezeichnete kosmische Zeit ist immer gemeint, wenn im folgenden einfach von Zeit die Rede ist.

1.3 Die kosmologische Rotverschiebung oder: Woher man weiß, daß das Universum expandiert

Das Hubble-Gesetz folgt allein aus dem kosmologischen Prinzip, wurde allerdings historisch als empirische Entdeckung bekannt. Das Vorzeichen von H, d.h. ob das Universum expandiert oder kontrahiert, muß durch Beobachtung geklärt werden. Tatsächlich weiß man seit den späten 1920er Jahren, daß das Universum expandiert. Wie kann man das feststellen? Um H zu bestimmen, müssen für möglichst viele ferne Objekte v und d bestimmt werden (nur so kann man hoffen, unvermeidliche systematische und Streufehler klein zu halten). Der Abstand d eines Objekts mit bekannter absoluter Leuchtkraft L folgt naiv aus seiner gemessenen scheinbaren Helligkeit l über die Relation l prop. L/d**2 (tatsächlich gilt diese Relation nur für relativ nahe Objekte und bedarf für den allgemeinen Fall einer gewissen Modifikation). Die Relativgeschwindigkeit v ist über den Doppler-Effekt bestimmbar: Die Wellenlänge lambda einer Spektrallinie, die ein sich entfernendes Objekts ("Sender") emittiert, wird um den Betrag Delta_lambda vergrößert empfangen. Genauer gilt Delta_lambda/lambda ~ v/c, falls v << c, wobei c die Lichtgeschwindigkeit bedeutet. Man nennt z: = Delta_lambda/lambda den Rotverschiebungsfaktor. Edwin Hubble fand, daß z für ferne Galaxien stets positiv ist und mit der geschätzten Entfernung annähernd linear zunimmt, was ihn auf einen ersten (und tatsächlich viel zu großen) Wert der nach ihm benannten Konstante führte. Moderne Meßmethoden liefern einen Wert von H_0 ~ 20 (km/s)/(Mio. Lichtjahre), wobei der Index 0 den heutigen Zeitpunkt t_0 andeutet, für den dieser Wert gilt. Tatsächlich ist zu erwarten, daß H zu früheren Zeiten größer war, weil die gegenseitige Gravitationsanziehung der Galaxienhaufen die Expansion des Universums bremsen sollte. Dieselbe Überlegung führt auch zu dem Schluß, daß die Relativgeschwindigkeit zweier beliebiger Objekte mit der Zeit abnimmt und daher d_0/v_0 = H_0**-1 eine obere Schranke für das Alter des Universums T_0 ist. Verfolgt man nämlich die Expansion zurück, kommt man unweigerlich zu dem Schluß, daß alle Objekte vor endlicher Zeit T_0 am selben Ort vereinigt waren. Zumindest folgt aus dem Hubble-Gesetz und dem Newtonschen Gravitationsgesetz, daß unser Universum einmal extrem verdichtet war. Diese extrem kurze Frühphase des Universums wird "Urknall" genannt, und T_0 bezeichnet die Zeitspanne, die seither vergangen ist (der heutige Zeitpunkt t_0 hat dann denselben Wert wie T_0, wenn man die kosmische Zeitrechnung mit dem Urknall beginnt, was aber nicht immer vorteilhaft ist). Mit dem obigen Wert für H_0 folgt T_0 < 13 Mrd. Jahre.

1.4 Die große Überraschung: Beschleunigung statt Abbremsung

Der eben gezogene Schluß über die Abbremsung der Expansion des Universums scheint zwingend, sollte aber dennoch - wie alle theoretischen Vorhersagen (in diesem Falle eigentlich eine Postdiktion) - experimentell überprüft werden. Außerdem kann man nur auf diese Weise auch Information über die Stärke der Abbremsung erhoffen. Diese experimentelle Überprüfung ist so schwierig, daß sie erst vor wenigen Jahren mit einiger Verläßlichkeit möglich geworden ist. Sie basiert auf folgender Idee: Um Information über die Expansionsgeschichte des Universums zu gewinnen, muß man sehr weit in die Zeit zurück und damit in den Raum hinaus blicken. Gelingt es, für entsprechend weit entfernte Objekte z und d zu bestimmen, dann steckt in den Wertepaaren (z, d) (mathematisch ausgedrückt: in der Funktion z(d)) die gesuchte Information. Wie bereits unter 1.3 erwähnt erfolgt die Bestimmung von d durch den Vergleich von absoluter Leuchtkraft L und scheinbarer Helligkeit l. Die eigentlichen Beobachtungsgrößen sind daher z und l. (Der in 1.3 angegebene einfache Zusammenhang zwischen L, l und d stimmt nur für z << 1 und bedarf einer gewissen Modifikation.) Um die in der Funktion z(d) enthaltene Information zumindest qualitativ zu extrahieren, benötigen wir eine bessere Deutung der kosmologischen Rotverschiebung als den Doppler-Effekt (dieser reicht nur für das Verständnis des Grenzfalls v <<< c): Die allgemeine Relativitätstheorie beschreibt die Expansion des Universums nicht bloß als "Galaxienflucht" im "normalen" leeren Raum, sondern als Expansion des Raumes selbst. Diese Expansion bewirkt eine "Dehnung" der Lichtwellen, wie es auch bereits das in 1.2 erwähnte Ballonmodell nahelegt. Die Rotverschiebung kumuliert sich also entlang des gesamten Lichtlaufwegs und hängt nicht allein von der Relativgeschwindigkeit von Sender und Empfänger zum Emissions- oder Empfangszeitpunkt ab. Der resultierende "Dehnungsfaktor" lambda_0/lambda_S = 1 + z für Lichtwellen ist derselbe wie der für Objektabstände: 1 + z = d_0/d_S (insbesondere für den Abstand Sender - Empfänger, wobei die Indizes 0 und S jeweils den Empfangszeitpunkt t_0 bzw. den Sendezeitpunkt t_S markieren). Wie wird nun der Abstand d_0 eines Senders mit einem gewissen z bei festem H_0 davon abhängen, ob die Relativgeschwindigkeit im Zeitraum von t_S bis t_0 ab- oder zugenommen hat? Da z nur das Verhältnis der Abstände festlegt, ist es vorteilhaft, auch nur mit dem Verhältnis v/d_0 zu argumentieren. Hat dieses Verhältnis bis zum heutigen Wert v_0/d_0 = H_0 zugenommen, dann dauerte die Expansion von d_S zu d_0 länger als im gegenteiligen Fall. Ist aber t_0 - t_S, also die Lichtlaufzeit, größer, dann ist auch d_0 (genauso wie d_S) größer. Präziser ausgedrückt wird die Funktion d(z) umso stärker wachsen, je kleiner die Abnahme bzw. je größer die Zunahme von v war. Damit ist der gesuchte qualitative Zusammenhang zwischen Beobachtungsdaten und der Zeitentwicklung der Expansion des Universums gewonnen. Will man die Entfernung möglichst weit entfernter Objekte bestimmen, müssen diese eine möglichst hohe absolute Leuchtkraft besitzen, und diese absolute Leuchtkraft muß auch bekannt sein, um die Messung der scheinbaren Helligkeit verwerten zu können. Die einzigen "Standardkerzen" mit dieser Eigenschaft sind die sogenannten Supernovae vom Typ Ia. Mit diesen läßt sich heute - vor allem durch Einsatz des Hubble-Weltraumteleskops - d(z) bis zu einer Rotverschiebung von z ~ 1 bestimmen. Obwohl die Funktion d(z) auch bei diesen relativ hohen Werten von z nur sehr schwach auf Abbremsung bzw. Beschleunigung der kosmischen Expansion "reagiert", sind inzwischen so viele Wertepaare (z, d) gemessen worden, daß mit hoher Sicherheit geschlossen werden kann, was zwei voneinander unabhängig arbeitende Gruppen von Astronomen im Jahre 1998 erstmals bekanntgaben: Die Expansion des Universums hat sich seit dem z ~ 1 entsprechenden Zeitpunkt (dieser lag vor ca. 6 Mrd. Jahren) beschleunigt!.

1.5 Die kosmologische Konstante oder Was die Welt auseinandertreibt

Die Entdeckung der beschleunigten Expansion ("Akzeleration") des Universums kam deswegen überraschend, weil sie der Vorstellung von der Gravitation als anziehender Wechselwirkung widerspricht. Mathematisch folgt die Anziehung aus dem Newtonschen Gravitationsgesetz und dem positiven Vorzeichen der darin auftretenden Massen. Wäre eine dieser Massen negativ, wäre Abstoßung die Folge. Daher erscheint es naheliegend, die Akzeleration des Universums durch die Präsenz von negativen Massen zu erklären. Dies widerspräche jedoch einem altbewährten Prinzip der Physik, nämlich der Positivität der Energie. Dieses Prinzip garantiert nichts weniger als die Stabilität der Welt durch die Existenz von "Grundzuständen" (Zuständen minimaler Energie) für Systeme verschiedenster Art. Wäre es verletzt, könnte man einem System, das keine solche untere Energieschranke besitzt, beliebig viel Energie entziehen und somit ein "perpetuum mobile" realisieren, ohne den Energieerhaltungssatz zu verletzen. (Z.B. würde die Beschleunigung eines Teilchens negativer Masse nicht Energie kosten, sondern liefern, und zwar umso mehr, je höher seine Endgeschwindigkeit ausfällt.)

Negative Massen kommen daher als Erklärung der Akzeleration nicht in Frage, d.h. es gibt überhaupt keine solche Erklärung im Rahmen der Newtonschen Gravitationstheorie. Anders in der allgemeinen Relativitäts- theorie: Hier wirkt der Druck p innerhalb einer kontinuierlichen Materie- verteilung ebenso anziehend wie eine positive Massendichte rho. Negativer Druck wirkt daher abstoßend, und diese Abstoßung kann sogar die Anziehung der Massendichte überwiegen. Allerdings muß dazu p < -(1/3)rho c**2 sein, was in "normaler" Materie wegen des hohen Zahlenwertes der Licht- geschwindigkeit c in "normalen" Einheiten nicht vorkommt. Negativer Druck an sich ist aber nichts Exotisches und tritt z,B. in Festkörpern auf, die unter Zug (mechanischer Spannung) stehen.

Das einfachste Modell für die auch dunkle Energie genannte Komponente des Universums, die die Akzeleration bewirkt, ist ein "Medium" mit der Zustandsgleichung p = - rho c**2 = - (c**4/(8 pi G)) Lambda, wobei Lambda die sogenannte kosmologische Konstante ist (G ist die Newtonsche Gravitationskonstante). Massendichte und Druck sind also sowohl räumlich als auch zeitlich konstant. Außer der Zustandsgleichung wird über die Natur des "Mediums" keine Aussage gemacht, siehe dazu jedoch weiter unten. Historisch wurde die kosmologische Konstante 1917 von Albert Einstein eingeführt, um ein statisches Weltmodell in der allgemeinen Relativitätstheorie zu ermöglichen. Einstein brachte die kosmologische Konstante allerdings nicht mit einer neuen Art von Materie in Verbindung, sondern faßte sie als Bestimmungsstück des Gravitationsfeldes selbst auf. Als später die Expansion des Universums bekannt wurde, zog er diese Modifikation seiner Theorie wieder zurück und bezeichnete sie später einmal als den größten Schnitzer seines Lebens. Die neuesten Entwicklungen lassen allerdings nur mehr Einsteins Rückzieher selbst als Schnitzer erscheinen!

Heute wird die kosmologische Konstante bevorzugt quanten- theoretisch begründet: Das oben nicht näher spezifizierte Medium ist demnach nichts anderes als das quantentheoretische Vakuum, das zwar keine reellen Teilchen enthält, aber auf Grund von Quantenfluktuationen doch materielle Eigenschaften aufweist, die im Mittel durch die obige Zustandsgleichung beschrieben werden. Allerdings sagt die naive Anwendung der Quantentheorie unter Einbeziehung der Gravitation für Lambda einen Wert vorher, der um mehr als das 10**120-fache größer ist als der aus den Supernova- und anderen Beobachtungen erschlossene. Gerade wegen dieser Diskrepanz wurden bis vor wenigen Jahren immer wieder theoretische Argumente gesucht, die zeigen sollten, daß Lambda exakt gleich 0 ist. Aus quantentheoretischer Sicht ist also nicht das Nichtverschwinden der kosmologischen Konstante rätselhaft, sondern ihre Kleinheit.

Wie groß ist die kosmologische Konstante tatsächlich? Aus verschiedenen Messungen (insbesondere aus der Bestimmung der Dichte der dunklen Materie und der gesamten Massendichte des Universums) folgt, daß die ihr entsprechende Massendichte, die wir ab jetzt rho_Lambda nennen werden, um Verwechslungen auszuschließen, die Größenordnung rho_Lambda ~ 10**-29 g/cm**3 hat. Diesen Wert kann man nur würdigen, wenn man ihn mit den Dichten anderer Komponenten des Universums vergleicht. Aussagekräftiger als Absolutangaben für diese Dichten sind ihre relativen Werte bezogen auf die sogenannte kritische Dichte des heutigen Universums, rho_c = 3 H_0**2/(8 pi G) ~ 10**-29 g/cm**3. Laut allgemeiner Relativitätstheorie hat rho_c folgende Bedeutung: Ist die gesamte Massendichte (Summe der Beiträge aller Komponenten) rho_0 > rho_c, dann hat der Raum konstante positive Krümmung (analog einer Sphäre in 2 Dimensionen). Ist rho_0 < rho_c, dann ist die Raumkrümmung konstant negativ (entsprechend einer sattelförmigen Fläche). Der "kritische" Fall rho_0 = rho_c entspricht einem flachen (ungekrümmten), also lokal euklidischen Raum. Da Krümmung eine lokale Raumeigenschaft ist, ist ein Raum gegebener konstanter Krümmung auf verschiedene Weisen global realisierbar. Die einfachste Realisierung eines flachen oder konstant negativ gekrümmten Raumes ist offen und hat unendliches Volumen, die eines Raumes konstanter positiver Krümmung ist geschlossen und hat daher endliches Volumen (vgl. die endliche Oberfläche einer Kugel).

Aus dem Anisotropiespektrum der kosmischen Hintergrundstrahlung läßt sich schließen, daß mit hoher Genauigkeit rho_0 = rho_c und der Raum daher flach ist. Die Massendichten aller Komponenten des Universums addieren sich also gerade zur kritischen Massendichte. Die wichtigsten dieser Beiträge sind:
1. Die "normale" baryonische Materie, deren Masse überwiegend in den Kernbausteinen (Proton und Neutron sind Baryonen) steckt, hat eine Massendichte rho_b ~ 0,04 rho_c (davon macht die "leuchtende" Materie nur 0,005 rho_c aus).

2. Die dunkle Materie, die nur über ihre Gravitationswirkung nachweisbar ist, ist nicht baryonisch, bildet aber dort "Klumpen", wo auch die baryonische Materie konzentriert ist, also um Galaxien, Galaxienhaufen (Cluster) und Supercluster. Ihre Dichte ist rho_dm ~0,25 rho_c.

3. Neutrinos tragen auf Grund ihrer zwar von Null verschiedenen, aber sehr kleinen Massen höchstens rho_ny ~ rho_b bei.

4. Die Photonen der kosmischen Hintergrundstrahlung liefern wegen E =mc**2 auch einen Beitrag zur Massendichte. Dieser ist heute mit rho_gamma ~ 10**-5 rho_c zwar minimal, war aber im frühen Universum der überwiegende, weil die mittlere Photonenergie mit der Temperatur stark anwächst. (Bemerkenswert ist, daß in den Photonen auch heute noch fast die gesamte Entropie des Universums steckt.)

5. Die dunkle Energie, die am einfachsten durch eine kosmologische Konstante Lambda > 0 modelliert wird, ist wegen ihrer inhärenten gravitativen Abstoßung nicht geklumpt, sondern diffus verteilt und dominiert heute eindeutig mit rho_Lambda ~ 0,7 rho_c.

1.6 Konsequenzen und Alternativen zur kosmologischen Konstante

Eine wichtige Konsequenz des Modells der kosmologischen Konstante ist, daß H_0**-1 nicht mehr obere Schranke für das Weltalter ist. Tatsächlich kommt man mit dem obigen Wert von rho_Lambda auf T_0 ~ 15 Mrd. Jahre. Das Universum ist also durch die Entdeckung seiner Akzeleration älter geworden! Damit löst sich ein Widerspruch, der vor dieser Entdeckung zu bestehen schien: Die ältesten sichtbaren Sterne waren mit ca. 13 Mrd. Jahren älter als T_0.

Wenn das Modell der kosmologischen Konstante zutrifft, dann war ihr Beitrag zur Massendichte des frühen Universums unbedeutend, weil rho_ Lambda zeitlich konstant ist, hingegen alle anderen Beiträge ebenso wie rho_c früher größere waren. Erst seit der relativ kurzen Zeit von ~ 5 Mrd. Jahren (entsprechend z ~1) dominiert rho_Lambda. Ist es Zufall, daß das Überhandnehmen der kosmologischen Konstante zeitlich fast mit mit dem Auftreten von Beobachtern wie uns selbst zusammenfällt? Dieses "Koinzidenzproblem" ist äquivalent zur Frage, warum Lambda fast genau den Wert hat, der die durch die anderen Komponenten bedingte positive Raumkrümmung wieder aufhebt, und ist nach der Kleinheit von Lamda das zweite Rätsel, vor das uns dieses Modell stellt, und auf das es bisher, abgesehen vom anthropischen Prinzip, keine befriedigende Antwort gibt.

Man kann die beiden letztgenannten Probleme aber auch als Indizien dafür auffassen, daß die kosmologische Konstante nicht das richtige Modell für die dunkle Energie ist. Aus diesem Grunde hat in den letzten Jahren das Interesse an alternativen Modellen zugenommen. Die attraktivste Klasse dieser Modelle postuliert einen neuen Typ von Materie (ein sogenanntes skalares Feld), der den Namen Quintessenz erhalten hat, weil die dunkle Energie gemäß der obenstehenden Auflistung die fünfte Hauptkompo- nente des Universums ist. Effektiv wird damit die kosmologische Konstante veränderlich (zeitlich und auch schwach räumlich), und die Zustandsgleichung verallgemeinert sich zu p = w rho c**2, wobei die Beobachtung w <= -1/2 erfordert, während aus Kausalitätsgründen w >= -1 sein muß (w = -1 im Fall der kosmologischen Konstante). Durch geeignete Parameterwahl läßt sich effektiv der heutige Wert der kosmologischen Konstante erreichen, unabhängig davon, wie groß ihr Wert unmittelbar nach dem Urknall war. Das Verhältnis rho_Lambda/ rho_c kann also auf den heutigen Wert entweder gefallen oder angestiegen sein. Es gibt eine einzige Beobachtung, die für letzteres spricht und daher auch mit dem einfachen Modell Lambda = const verträglich ist: Eine zufällig im berühmten "Hubble Deep Field" (einem kleinen Himmelsausschnitt, der vor einigen Jahren mit Langzeitbelichtung vom Weltraumteleskop aufgenommen wurde) enthaltene Supernova vom Typ Ia hat z ~ 1,7, erscheint aber näher als zu erwarten, wenn rho_Lambda/rho_c konstant geblieben wäre. Es wird vieler weiterer solcher Beobachtungen bedürfen, um zu klären, ob eine Version von Quintessenz tatsächlich das beste Modell der dunklen Energie ist.

Alle Modelle sagen voraus, daß die dunkle Energie auch in Zukunft die anderen Komponenten dominieren wird. Die Expansion des Universums wird sich also weiter beschleunigen und die Dichte dieser anderen Komponenten (einschließlich der sichtbaren Materie) weiter abnehmen. Eine interessante Konsequenz dieser immerwährenden Akzeleration ist die "kosmische Zensur": Ferne Galaxien bleiben nur bis zu einem endlichen Eigenalter sichtbar. Ihre Entstehung bei hohem z ist zwar im Prinzip sichtbar, wonach z bis auf einen Minimalwert abnimmt. Danach wächst z aber wieder an und wird zu späten Zeiten beliebig groß. Aber selbst wenn wir beliebig spät beobachten, was wegen des mit dem Anwachsen von z verbundenen Intensitätsverlusts immer schwieriger wird, wurde die empfangene Strahlung vor einem fixen Eigenalter emittiert.